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Die Elbphilharmonie – schon eingeschlafen?

„You got some big dreams baby, but in order to dream you gotta still be asleep./When you gonna wake up.“ - So singt der vor kurzem gekrönte Nobelpreisträger Bob Dylan. Mit einem typisch scharfen Blick auf das Stereotyp, zeigt uns der Meister die andere Seite des Träumens auf. Wer träumt: schläft. Träumen und das Versprechen von etwas Besserem ist auch in der Politik nichts neues . Von „The American Dream“ über „I have a dream...“ bis zu dem beliebten Kalenderspruch „Dream BIG“ – es ist ein Wunder, dass wir überhaupt aus dem Bett kommen. Aber wovon träumen Musiker denn? Und was passiert, wenn der Traum verwirklicht wird? Laut Bob Dylan können wir entweder weiter schlafen oder aufwachen.

Seit der erste Idee von Alexander Gérard bis zu der Eröffnung der Elbphilharmonie träumte Hamburg big – sehr BIG! Nun ist der Traum verwirklicht worden und Hamburg hat sich selbst zur „Musik-Stadt“ gekrönt. Die Gefahr: Wir verwechseln ein magisches Gebäude mit der Innovation der klassischen Musik: wir verwechseln den Traum mit der Realität. Sie können zwar Einfluss aufeinander nehmen, aber letztendlich liegt die Zukunft der klassischen Musik in den Händen der Künstler, die davon leben wollen. Trotz ihrer majestätischen Präsenz sollte die Elbphilharmonie doch zweite Geige zu der Musik sowie zu den Künstlern spielen und nicht einfach noch eine Institution werden, die auf Kosten der Innovation der Musik kurzfristig profitieren möchte.

Wir befinden uns für einen Moment in meiner Heimatstadt: Manchester. Es ist das Jahr 1996, September, der Tag – weiß ich nicht mehr, aber der war hundertprozentig grau, nass und mit eiskaltem Wind bewaffnet. Heute ist die Eröffnung von dem neusten und modernsten Konzertsaal Englands: „The Bridgewater Hall“. Das Gebäude hat rund um 42 Millionen Pfund gekostet (damals verhältnismäßig sehr viel) und hat eine Kapazität von 2400 Zuschauerplätzen. Mit dem Bau wollten die Politiker Manchester zum Zentrum der Klassik in Nordengland machen. Ein neues Gebäude, ein hervorragendes Orchester, fantastisches Programm usw. usw....Diese Geschichte kommt mir irgendwie bekannt vor.

In den ersten Jahren hat „The Bridgewater Hall“ fantastische Konzerte mit einem vielfältigen Programm veranstaltet und Manchester hat sogar ein paar Preise bekommen, wie z.B. den „Civil Trust“ Award 1998 – bemerkenswerterweise jedoch nur für das Gebäude und nicht für die Musik. Nach und nach wurden die Konzerte immer schlechter besucht, die Programme weniger vielfältig, die Künstler weniger interessant und leider sank das Niveau. Ab 2002 war kaum noch was los und Mitte des ersten Jahrzehnts herrschte ein Stillstand. Erst ab 2010 versuchten sich die Verantwortlichen aus dem Loch der „Nicht-Innovation“ zu graben. Bis zum heutigen Tag haben sie es nicht ganz geschafft, den Erfolg und die Energie der ersten Jahre wiederzufinden – aber jetzt geht es deutlich bergauf für Manchester als Kulturstadt sowie für „The Bridgewater Hall“ als Musiksaal.

An dieser Stelle könnte man behaupten, dass Hamburg doch eine ganz andere Stadt mit einem ganz anderen Hintergrund ist und dass die Elbphilharmonie auch eine ganz andere Geschichte hinter sowie vor sich hat. Ich würde auch zum größten Teil zustimmen. Allein, dass die Elbphilharmonie gebaut worden ist, gilt als eine politische Aussage, die weit über die Musik hinausgeht. Wie Martin Kettle am 12. Januar 2017 in The Guardian schon berichtete: „I simply don't think that any of this would happen in the UK, even London.“ Warum glaubt er das? Seiner Meinung nach liegt es an der deutschen Einstellung zur Kultur „...because she (Angela Merkel) thinks culture matters, and because there is not a problem with having such tastes in Germany. Britain remains far less comfortable investing in the Arts than other developed countries.“ Und letztendlich hat er Recht. Die Elbphilharmonie steht für eine große Investition in die Zukunft der Kultur. Damit ist nicht nur die Kultur allgemein gemeint, sondern auch spezifisch die klassische Musik, welche eine Schiene der Kultur ist, die viele überhaupt nicht wahrnehmen. In dieser Hinsicht – doch ein mutiger Schritt.

Aber das ist nur der erste Schritt und leider der leichteste Schritt auf einem sehr langen und schwierigen Weg gewesen – wie Manchester allzu gut nachvollziehen kann. Das, was Hamburg und Manchester verbindet, ist eine Illusion. Eine Illusion, dass die Musik nichts mehr als ein bloßes Geschäft ist und dementsprechend nach einem Geschäftsmodell verhandelt werden kann. Geld und Werbung sind Symptome einer Denkweise, die die Klassik gerade plagt. Versteht mich nicht falsch, diese sind äußerst wichtig, aber sie werden benutzt, um eine schwierige Realität zu verstecken: Das ganze System der klassischen Musik, von der Ausbildungsphase zu den berühmtesten Profis, muss neu aufgebaut und realisiert werden. Wir müssen uns stetig die Frage neu stellen, welches Repertoire gespielt wird? Warum? Wo? Von wem und für wen? Die Musik muss wieder lebendig werden und nicht nur im Saal stattfinden. Um Bob Dylan halb zu Zitieren: When we gonna wake up.

„The Bridgewater Hall“ ist zwischenzeitlich gescheitert, nicht weil der Saal oder die Musik schlecht waren, sondern weil die Innovation stehen geblieben ist. Die Stadt versuchte anfangs Kinder dafür zu begeistern, aber es hat nicht langer gedauert, bevor das abgeschafft worden ist. Das Programm war am Anfang vielfältig, aber aus Angst wurde immer mehr Standardrepertoire hoch und runter gespielt um „sicheres“ Geld zu gewinnen. Die Stadt hat sich zu früh selbst gefeiert und betrachtete den Bau des Saals als Endstation der Reise. Das darf nicht in Hamburg passieren, aber doch ist die Stimmung sehr ähnlich.

Allein der Titel „Musik-Stadt“ ist für mich problematisch. Wir haben den Titel längst nicht verdient. Gut – wir haben ein schönes Gebäude, aber das NDR-Elbphilharmonie-Orchester, so sehr ich es schätze, ist noch nicht ganz auf dem gleichen Level von den großen Orchestern Deutschlands, z.B. die von Berlin oder München. Man soll sich eher die Frage stellen: „Was für eine Musik-Stadt soll Hamburg werden und welche Rolle soll die Elbphilharmonie dabei spielen?“ Macht es jetzt Sinn, in Konkurrenz mit Berlin aufzutreten? Die Orchester Hamburgs sind einfach nicht etabliert genug, um die gleiche Anziehungskraft wie die Berliner Philharmoniker auszuüben.

Mit der Elbphilharmonie hat Hamburg die Möglichkeit bekommen, eine neue Bewegung in der Musik anzufangen. Ein neuer Saal für eine neue Wahrnehmung der Musik. Die „Elphi“ ist schon gut dabei, aber man bemerkt immer weniger neue Musik auf dem Programm. Solisten wie Fazil Say und Murray Perahia tauchen auf – aber was spielen sie? Mozart, Schubert, Beethoven. Und hier liegt das wirkliche Problem. Die Zukunft der Musik und Hamburg als Musik-Stadt liegt nicht an der Elbphilharmonie, sondern an den Musikern und Menschen, die die Konzerte spielen und organisieren. Wenn die jungen Musiker nicht selber die Verantwortung übernehmen, die Musik als politische Bewegung wahrzunehmen, neue Konzertideen zu entwickeln, neue Werke aufzuführen, in Kontakt mit anderen Facetten der Musik zu kommen, dann bleibt die Musik im Stillstand, egal wie großartig das Gebäude ist. Wenn die Veranstalter der Elbphilharmonie diesen jungen Künstlern keine Stimme und keine Konzertplattform geben, wenn sie nur das veranstalten, was überall in Europa veranstaltet wird, dann werden die 866 Millionen Euro umsonst gewesen sein. Die „Elphi“ ist wirklich traumhaft und sie hat der klassischen Musik Anerkennung und nötige Bestätigung wiedergegeben – aber mehr kann sie nicht tun. Nur wir Musiker können Hamburg zur echten Musik-Stadt machen und wir dürfen nicht vergessen, dass die Verantwortung bei uns liegt. Das Gebäude ist da. Die Arbeit fängt für uns alle erst jetzt an – wir dürfen nicht einschlafen!

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